Zur Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen bei der Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts

Ein Beschluss des Gemeinderats, ein gesetzliches Vorkaufsrecht auszuüben, der in öffentlicher Sitzung gefasst wurde, ist rechtswidrig, wenn der Gemeinderat über die Ausübung des Vorkaufsrechts zuvor nur in nichtöffentlicher Sitzung beraten hat.

Dies ist der Leitsatz eines Urteils des VGH Baden-Württemberg vom 22.06.2015 – 8 S 1386/14 –, das für Gemeinden eine erhebliche Praxisrelevanz haben dürfte. Denn es kommt nicht selten vor, dass bei der Ausübung des Vorkaufsrechts in verfahrensrechtlicher Hinsicht Fehler unterlaufen, die dann – in der Regel nicht mehr heilbare – Folgen haben.

In dem Fall, mit dem sich der VGH Baden-Württemberg zu befassen hatte, hat sich ein Grundstückskäufer gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts durch eine Gemeinde zur Wehr gesetzt. Das Gericht hat dabei zunächst klargestellt, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts durch eine Gemeinde ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt ist, der sich auch gegenüber dem Grundstückskäufer als belastender Verwaltungsakt darstellt und gegen den sich deshalb auch ein Grundstückskäufer wehren können muss.

Das Gericht hat sodann einführend klargestellt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausübungsbescheides ist. In diesem Zusammenhang hat das Gericht – in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung – ausgeführt, dass innerhalb der Zwei-Monats-Frist (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB) sämtliche für die Ausübung des Vorkaufsrechts erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen.

In den weiteren Ausführungen hat der VGH Baden-Württemberg verdeutlicht, dass die Zuständigkeit des Bürgermeisters nach § 44 GemO nicht gegeben ist und dass dann, wenn auch keine Zuständigkeitsübertragung an den Bürgermeister stattgefunden hat, der Gemeinderat über die Ausübung des Vorkaufsrechts beschließen muss. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO sind die Sitzungen des Gemeinderats öffentlich. Da das Gebot der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen ein wichtiges Mittel im demokratischen Rechtsstaat ist, um Einblick in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaften und damit eine Kontrolle der Öffentlichkeit zu bewirken, hat das Gericht einen Verstoß gegen dieses Gebot als regelmäßig schwerwiegende Verfahrensrechtsverletzung bezeichnet. Erforderlich sei, so das Gericht, nicht nur, dass der Beschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts in öffentlicher Sitzung gefasst wird, sondern dass über die Frage auch öffentlich beraten wird. Angesichts des städtebaulichen Einschätzungsspielraums, ob und in welcher Weise das jeweilige Grundstück für die kommunale Planung von Relevanz ist, kommt gerade bereits der öffentlichen Debatte im politischen Willensbildungsorgan eine besondere Bedeutung zu.

Im Regelfall erfolgt die der Beschlussfassung vorausgehende Beratung in ein- und derselben öffentlichen Sitzung des Gemeinderats. Fallen im Einzelfall die beiden Schritte auseinander, gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit für beide Einzelschritte. Da in dem vom VGH Baden-Württemberg zu entscheidenden Fall die Beratung nicht in öffentlicher Sitzung stattgefunden hat, hat das Gericht das Vorgehen beanstandet.

Nach Auffassung des Gerichts führt die Rechtswidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses auch zur Rechtswidrigkeit des Ausübungsbescheides (der den Vollzug des Gemeinderatsbeschlusses darstellt).

Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg hat – einmal mehr – gezeigt, dass die Rechtsprechung dem Öffentlichkeitsgrundsatz große Bedeutung beimisst und dass dementsprechend sorgfältig geprüft werden muss, wenn beabsichtigt ist, nichtöffentlich zu beraten bzw. zu beschließen.

 

Dr. Rico Faller

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

 

Karlsruhe

 

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