Überschreitung der Abstandsflächenvorschriften nach der LBO und offenbar unbeabsichtigte Härte;

Eine offenbar unbeabsichtigte Härte nach § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO, die eine Befreiung von Abstandsflächenvorschriften rechtfertigen könnte, liegt nicht vor, wenn die Abstandsflächenvorschriften eine Einschränkung der baulichen Nutzung bewirken. Denn diese Einschränkungen sind zur Erreichung der mit diesen Vorschriften verfolgten Zielsetzungen im Regelfall gerade beabsichtigt.

Dies ist der erste Leitsatz eines Beschlusses des VGH Baden-Württemberg vom 17.03.2015 – 8 S 2470/14. Zugrunde lag ein Fall, in dem bezüglich des Grenzabstandes zur Nachbarbebauung eine Befreiung gem. § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO erteilt wurde. Der VGH Baden-Württemberg ist dieser Entscheidung entgegengetreten.

Das Gericht hat zunächst ausgeführt, dass die Tiefe der Abstandsfläche allgemein 0,4 der Wandhöhe beträgt (§ 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 LBO). Sie dürfe jedoch 2,50 m, bei Wänden bis 5,00 m Breite 2,00 m nicht unterschreiten (§ 5 Abs. 7 Satz 2 LBO). Im konkreten Fall war es so, dass die Anwendung der Regel „0,4 der Wandhöhe“ zu einer Abstandsflächentiefe von 3,34 m führt. Die genehmigte Abstandsfläche war aber lediglich 2,50 m tief. Das Gericht hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung von der Abstandsflächenvorschrift nicht vorliegen. Denn nach der maßgeblichen Vorschrift kann eine Befreiung dann erteilt werden, wenn die Einhaltung der (Abstandsflächen-)Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Schon an der zuerst genannten Voraussetzung fehle es hier, so das Gericht. Denn eine solche Härte liege nur dann vor, wenn die Anwendung der (Abstandsflächen-)Vorschrift nachhaltig in die Rechte des Betroffenen eingreife und ihm dadurch ein erhebliches, über die jedermann treffenden allgemeinen Auswirkungen hinausgehendes Opfer abverlange. Erfasst davon seien atypische Umstände, bei deren Vorliegen die gesetzliche Regelanordnung zu fragwürdigen Ergebnissen führen würde. Dies sei dann auch offenbar, wenn das Grundstück bei Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften nicht oder nur schwer bebaut werden könne und diese Beschränkung auch nicht durch die Zielsetzung der Vorschrift gefordert werde, sprich: wenn also die schematische Anwendung einer Vorschrift zu Ungerechtigkeiten führen würde, namentlich ein ganz unbilliges Ergebnis zur Folge hätte.

Dies sei hier nicht der Fall. Denn könne ein Grundstück bei Einhaltung der Vorschriften zwar sinnvoll bebaut werden, wegen seines Zuschnitts oder geringerer Größe aber nicht vergleichbar intensiv wie andere Grundstücke in der Umgebung, liege darin eine vom Gesetzgeber in Kauf genommene Härte. In diesem Zusammenhang hat der VGH Baden-Württemberg auch nochmals daran erinnert, dass nach dem Änderungsgesetz vom 17.11.2009 die Unterscheidung zwischen nachbarschützenden und nicht nachbarschützenden Teilen die Abstandsflächentiefe weggefallen sei.

Die Entscheidung bedeutet letztlich eine Stärkung der Rechte für Nachbarn im Zusammenhang mit der Befreiung von Abstandsflächenvorschriften. Für einen Bauherrn bedeutet die Entscheidung weniger „Spielraum“ im Zusammenhang mit der Gestaltung von Baumaßnahmen. Denn selbst wenn eine Baurechtsbehörde eine Überschreitung von Abstandsflächenvorschriften – etwa im Wege der Befreiung – mittragen würde, könnte sich unter Umständen ein Baunachbar mit Erfolg dagegen zur Wehr setzen.

 

Dr. Rico Faller

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

 

Karlsruhe