Resturlaubsanspruch bei langandauernder Erkrankung

Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil vom 07.08.2012 9 AZR 353/10 seine Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch bei krankheitsbedingten Ruhen des Arbeitsverhältnisses weiter präzisiert und insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.11.2011 (KHS) umgesetzt. Dabei hat es zunächst festgehalten, dass der gesetzliche Erholungsurlaub und der schwerbehinderten Menschen zustehende Zusatzurlaub keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraussetzen. Diese Urlaubsansprüche gesetzlicher Natur entstehen auch ohne Arbeitsleistung, wenn der Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezieht oder eine tarifliche Regelung das Ruhen des Arbeitsverhältnisses an einen Bezug dieser Rente knüpft. Denn allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses ist Voraussetzung für das Entstehen des Urlaubsanspruches. Eine Sonderregelung in Tarifverträgen ist kraft der Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) nicht möglich, denn das Abweichungsverbot gilt gemäß der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG auch für Regelungen in Tarifverträgen.

Das Bundesarbeitsgericht hat Stimmen in der Literatur und auch in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte aus den letzten Monaten Einhalt geboten, die gefordert hatten, während des Ruhen eines Arbeitsverhältnisses keine Urlaubsansprüche entstehen zu lassen bzw. die Kürzung des Urlaubsanspruchs um Zeiten des Ruhens zu ermöglichen. Das Bundesarbeitsgericht stützt sich auch auf § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, nämlich die angeordnete Unabdingbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruches.

Für Arbeitgeber wird diese Entscheidung dadurch abgemildert, dass die gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund europarechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert ist. Diese Abweichung zu § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ergibt sich aus der ersten Arbeitszeitrichtlinie (93/104/EG). Der EuGH hatte hierzu festgehalten, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit gehabt haben muss, den ihm mit der Richtlinie verliehene Anspruch auszuüben. Ergänzt wurde dies später dadurch, dass ein Recht auf ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Urlaub aus mehreren Bezugszeiträumen grundsätzlich nicht mehr im Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaubs entspricht.

Das BAG legt daher § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG unionsrechtskonform so aus, dass gesetzliche Urlaubsansprüche vor Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahres nicht erlöschen können, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert wird. Diese Ansprüche gehen jedoch mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter. Da der Gesetzgeber einen genauen Zeitraum noch nicht festgelegt hat, hat das BAG einen entsprechenden Zeitraum selbst gewählt. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber reagiert und noch einen anderen Zeitraum festlegen wird.

Jedenfalls ist nunmehr weitgehend Klarheit bei der Behandlung von Resturlaubsansprüchen von langzeiterkrankten Arbeitnehmern bei deren Ausscheiden hergestellt.

 

Christian Schlemmer

Fachanwalt für Arbeitsrecht

 

Karlsruhe