Praxis- oder Betriebsschließung wegen COVID-19: Ein klarer Fall der Betriebsschließungs- oder Praxisausfallversicherung?

Durch die COVID-19-Pandemie kam und kommt es zu behördlich angeordneten Schließungen von ganzen Geschäftsbereichen, einzelnen Betrieben und Praxen. Sofern das betroffene Unternehmen eine Betriebsschließung- oder Praxisausfallversicherung bzw. eine Multirisk-Versicherung etc., die diese Risiken umfasst, besitzt, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang durch die Schließung ein entsprechender Leistungsanspruch gegenüber dem Versicherer begründet ist.

 

Ist COVID-19 vom Versicherungsschutz umfasst?

 

Die allgemeine Frage, ob eine behördlich angeordnete Betriebsschließung aufgrund der COVID-19-Pandemie einen Versicherungsfall darstellt, lässt sich nicht einheitlich für alle im Markt befindlichen Betriebsschließungs- oder Praxisausfallversicherungsverträge beantworten. Die zu beurteilenden Sachverhalte und die unterschiedlichen Versicherungsbedingungen können zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Hinzu kommt weiter das unterschiedliche Regulierungsverhalten der einzelnen Versicherer.

 

Inhalt der vereinbarten Versicherungsbedingungen (AVB)

 

In jedem Einzelfall ist daher zu prüfen, ob COVID-19 nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen unter den Versicherungsschutz fällt.

 

Sofern die Versicherungsbedingungen für die Annahme eines Versicherungsfalls darauf abstellen, dass eine meldepflichtige Krankheit oder ein meldepflichtige Krankheitserreger gemäß §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz vorliegt, fällt COVID-19 aufgrund der "Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus“ (2019-nCoV) vom 30.01.2020 darunter.

 

Schwieriger stellt sich die Situation hingegen dann dar, wenn in den Versicherungsbedingungen konkrete Krankheiten aufgezählt sind bzw. auf eine bestimmte Fassung der §§ 6 oder 7 Infektionsschutzgesetz Bezug genommen wird, da COVID-19 in diesen Aufzählungen historisch bedingt nicht enthalten ist. Sofern diese Aufzählung rechtlich betrachtet als „abschließend“ angesehen werden kann und darf, wäre COVID-19 schon nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Letztendlich wird diese Frage, unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der maßgeblich auf die Sichtweise eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abstellt, anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten und gegebenenfalls gerichtlich zu überprüfen sein.

 

Versicherungsschutz nur bei individueller behördlicher Anordnung?

 

Von Seiten der Versicherer wird teilweise zu dem infrage gestellt, ob die betriebsschließenden Anordnungen durch Verordnung, Allgemeinverfügungen etc. überhaupt von den vereinbarten Versicherungsbedingungen erfasst sind. Letztendlich dürfte es rechtlich jedoch nur darauf ankommen, ob durch eine hoheitliche Maßnahme die Betriebsausübung untersagt wird. Auch in diesem Punkt ist davon auszugehen, dass eine eindeutige Klärung erst durch die Gerichte erfolgen wird.

 

Leistungsumfang der Versicherung

 

Bei der Bestimmung des versicherungsvertraglichen Leistungsumfangs ist zu berücksichtigen, dass in einigen Versicherungsbedingungen Regelungen enthalten sind, nach denen öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche anzurechnen sind. Eine Reihe von Versicherern zieht nun diese Regelungen heran, um mit krisenbedingten staatlichen Leistungen wie Kurzarbeitergeld, Soforthilfen aus Bund und Land, Steuererleichterungen, zinslosen Darlehen usw. gekürzte Leistungen vorzunehmen. Rechtlich bestehen schon erhebliche Zweifel, ob es sich bei diesen staatlichen Leistungen um öffentlich-rechtlich Entschädigungen im Sinne der Versicherungsbedingungen handelt.

 

Fazit:

 

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass auch aufgrund der dargestellten rechtlichen Unsicherheiten in der täglichen Praxis festzustellen ist, dass es kein einheitliches Regulierungsverhalten der Versicherer gibt. Die Reaktionen bei der Geltendmachung von Ansprüchen reichen von einer vollständigen Ablehnung der Leistung über pauschale Angebote eine Regulierung von 10-15 % der maximalen Entschädigungsleistung bis zur Zusage vertragsgemäßer Zahlungen. Daraus folgt, dass für jeden Einzelfall anhand der Umstände und der konkreten Versicherungsbedingungen zu prüfen ist, wie die Chancen für eine gegebenenfalls gerichtliche, erfolgreiche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag stehen. Erst danach kann unter Beachtung der aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten des Betriebs über ggf. vorliegendes pauschales Regulierungsangebots des Versicherers entschieden werden.

 

Im Hinblick auf die pauschalen Regulierungsangebote mancher Versicherer darf dabei jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass mit der Annahme des Regulierungsangebotes in der Regel eine Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verbunden ist. Besteht allerdings aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation für einen Betrieb das reale Risiko einer Insolvenz und schließen die Verantwortlichen des Betriebes mit der Versicherung eine entsprechende Vereinbarung, durch die der Betrieb auf 85-90 % der ihm zustehenden Versicherungsleistung verzichtet, so kann eine solche Vereinbarung später wegen Gläubigerbenachteiligung nicht nur durch den Insolvenzverwalter anfechtbar sein, sondern auch zur Haftung des Inhabers oder der Organe des Betriebes führen. Hier besteht daher ein ganz erhebliches persönliches Haftungsrisiko des Inhabers oder der Organe eines solchen Betriebes, sodass die Annahme eines pauschalen Regulierungsangebotes nur nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall und entsprechende Abwägung erfolgen sollte.

 

Karlsruhe, den 30.04.2020

 

Sebastian Jung

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht