Pflichten eines Vorstandes einer Aktiengesellschaft zur Einrichtung einer auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegten Compliance-Organisation

LG München I verurteilt ehemaligen Finanzvorstand der Siemens AG zu einem Schadensersatz in Höhe von 15 Mio. €.

Mit Urteil vom 10.12.2013 hat das Landgericht München I den ehemaligen Finanzvorstand der Siemens AG zu einer Zahlung von 15 Mio. € verurteilt. Der Beklagte hat gegen das Urteil Berufung beim Oberlandesgericht München eingelegt.

Während neun ehemalige Siemens-Vorstände Ende 2009 einen Vergleich mit ihrem alten Unternehmen geschlossen hatten, kam eine Einigung zwischen den Parteien dieses Rechtstreites nicht zustande.

Hintergrund des Verfahrens ist die hinlänglich bekannte Korruptionsaffäre, deren juristische Aufarbeitung weitgehend abgeschlossen ist. Nachdem der Siemens AG Bußgelder in dreistelliger Millionenhöhe auferlegt wurden, war es im Lichte der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes folgerichtig, dass der Aufsichtsrat der Siemens AG namens der Gesellschaft auf das ehemalige Vorstandsmitglied zuging und diesen aufforderte, seine Ersatzpflicht dem Grunde nach anzuerkennen und einen Vorschlag zur Schadensregulierung zu unterbreiten. Wie bereits angemerkt, kam es in diesem Falle nicht zu einem Vergleich wie bei neun anderen Vorstandsmitgliedern, so dass die Siemens AG gegen den ehemaligen Finanzvorstand Klage erhob. Das Landgericht München I hat sich in seinem Urteil vom 10.12.2013 ausführlich mit den Pflichten des Vorstandes einer Aktiengesellschaft zur Errichtung einer Compliance-Organisation beschäftigt. Die zentralen Aussagen des landgerichtlichen Urteils lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen:

- Grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen bedeuten eine Gesetzesverletzung, die sich nicht aus der Erwägung heraus rechtfertigen lässt, andernfalls seien wirtschaftliche Erfolge auf korruptiven Auslandsmärkten nicht mehr möglich. Den Vorstand treffe eine Legalitätspflicht, die ihn verpflichtet, im Außenverhältnis sämtliche Vorschriften einzuhalten, die an das Unternehmen als Rechtssubjekt geknüpft werden.

- Ausfluss dieser Legalitätspflicht ist die Verpflichtung des Vorstandsmitgliedes, dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine derartigen Gesetzesverletzungen stattfinden. Diese Überwachungspflicht wird namentlich durch § 91 Abs. 2 AktG dadurch konkretisiert, dass ein Überwachungssystem installiert wird, das geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, wovon auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften umfasst sind.

- Einer derartigen Organisationspflicht genügt der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften wie die geografische Präsenz wie auch die Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.

- In prozessualer Hinsicht hat das Landgericht München I ausgeführt, dass die Vorgänge, die zu unzulässigen Zahlungen von Schmiergeldern im Ausland geführt haben, zum eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich des Vorstandsmitgliedes gehörten, so dass dieser sich nicht aufgrund arbeitsteiliger Organisation ihres Betätigungsbereiches seinen prozessualen Erklärungspflichten entziehen kann, indem er entsprechende Tatsachen mit Nichtwissen bestreitet. Das Vorstandsmitglied sei verpflichtet gewesen, die ihm zugänglichen Informationen in seinem Unternehmen und von denjenigen Personen einzuholen, die unter seiner Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind.

- Die Einrichtung eines mangelhaften Compliance-Systems und auch deren unzureichende Überwachung bedeutet eine Pflichtverletzung des Vorstands. Die Einrichtung eines Systems zur Vermeidung von Korruptionszahlungen bei der Siemens AG muss strengen Sorgfaltsmaßstäben genügen, vor allem deshalb, da das Unternehmen Aktivitäten in Ländern entfaltete, die ohne jeden Zweifel besonders korruptionsanfällig waren wie beispielsweise Nigeria.

Deshalb müsse ein funktionierendes Kontrollsystem auch sichergestellt sein, dass jeder Zahlungsvorgang jederzeit nachvollzogen werden kann. Gerade dieses strenge System macht ein effizientes Überwachungssystem unerlässlich.

- Weiterhin führt das Landgericht München I aus, dass ein funktionierendes Kontrollsystem auch sicherstellen müsse, dass jeder Zahlungsvorgang jederzeit nachvollzogen werden könne. Gerade dieses strenge System mache ein effizientes Überwachungssystem unerlässlich.

Gerade weil dem Vorstand und dem betroffenen Vorstandsmitglied immer wieder verdächtige Fälle von Bestechungszahlungen geschildert wurden, hätte es einer Überprüfung der Effizienz des bestehenden Compliance-Systems bedurft.

- Für den gesamten Vorstand besteht die Verpflichtung, eine klare Regelung zu schaffen, wer auf der Ebene des Gesamtvorstandes die Hauptverantwortung zu tragen hat. Insoweit ist eine klare organisatorische Zuordnung der Compliance-Verantwortung unerlässlich.

- Weitergehend hätte darauf hingewirkt werden müssen, dass die mit der Überwachung der Compliance-Vorgaben beauftragten Personen hinreichende Befugnisse haben, Konsequenzen aus Verstößen zu ziehen. Der Einwand eines Vorstandsmitgliedes, gegenüber den kaufmännischen Leitern der Bereiche keine Weisungsrechte gehabt zu haben, zeigt gerade das Fehlen eines funktionierenden Compliance-Systems, das der Vorstand im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für die Einhaltung des Legalitätsprinzips hätte einrichten müssen.

- Die Verpflichtung zur Schaffung eines funktionierenden Compliance-Systems wie auch zur Überwachung von dessen Effizienz trifft den Gesamtvorstand. Der Gesamtvorstand ist verpflichtet, sich umfassend zu den einzelnen bekannt gewordenen Vorfällen fortlaufend zu informieren. Für das verantwortliche Vorstandsmitglied bestand die Verpflichtung, sich in regelmäßigen Abständen darüber in Kenntnis setzen zu lassen, welche Ergebnisse interne Entwicklungen brachten, ob personelle Konsequenzen gezogen wurden und vor allem, ob und wie ein dahinterstehendes System bekämpft wird.

Als Resümee lässt sich ziehen, dass es die Aufgabe des Gesamtvorstandes darstellt, zu überprüfen, ob das implementierte Compliance-System geeignet ist, Verstöße gegen zwingendes Gesetzesrecht zu unterbinden. Das wiederholte Auftreten von Gesetzesverstößen oder zumindest gravierender Verdachtsmomente im Zusammenhang mit Korruptionsfällen im Ausland hat gezeigt, dass das bisherige System nicht ausreicht. Dann aber ist es nach Auffassung des Landgerichts München I Aufgabe eines jeden Vorstandsmitgliedes und damit auch des Finanzvorstandes, im Rahmen seiner Überwachungspflicht darauf hinzuwirken, dass innerhalb des Vorstands ein funktionierendes Compliance-System beschlossen wird.

Das betroffene Vorstandsmitglied kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Vorstand seinen Vorstellungen nicht gefolgt sei. Zwar muss auch ein überstimmtes Vorstandsmitglied an der Umsetzung von Vorstandsbeschlüssen loyal mitwirken. Dies kann aber dann nicht gelten, wenn sie nicht gesetzeskonform sind. Wenn ein Vorstandsmitglied mit Vorschlägen zur Verbesserung der Compliance-Organisation bei seinen Vorstandskollegen tatsächlich nicht durchgedrungen sein sollte, so hat er entsprechende Gegenvorstellungen bei seinen Kollegen anzubringen und gegebenenfalls den Aufsichtsrat einzuschalten.

Wie bereits ausgeführt, hat das ehemalige Vorstandsmitglied gegen das Urteil des Landgerichts München I Berufung eingelegt. Man wird abzuwarten haben, ob das Urteil vor dem Oberlandesgericht München (teilweise) revidiert werden kann.

In jedem Falle empfiehlt es sich zu überprüfen, ob eine Compliance-Organisation etabliert wurde, welche der unternehmensbezogenen Risikolage entspricht und in der Lage ist, Gesetzesverstöße zu verhindern bzw. zu erschweren. Vor allem sollte überprüft werden, ob die eingezogenen Strukturen effizient arbeiten. Sollte dem nicht so sein, wäre dringend Abhilfe zu schaffen – und zwar im Interesse des Unternehmensleiters ebenso wie des Unternehmens, welches über das Fehlverhalten der Unternehmensführung (§ 130 OWiG) regelmäßig in das Fadenkreuz der Staatsanwaltschaften gelangt.

 

Jörg Schröder

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Fachanwalt für Steuerrecht

 

Karlsruhe

 

Urteil vom 10.12.2013

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