Neue Entscheidung des BGH zur Auschließung eines Gesellschafters aus der GmbH – was ist hieran wirklich neu?

Mit Urteil vom 04.08.2020 – II ZR 171/19 – hat der Gesellschaftsrechtssenat des Bundesgerichtshofs einen Fall entschieden, dessen Gehalt er in folgenden Leitsatz gefasst hat:

 

„Der Gesellschafter einer GmbH kann, obwohl er seine bereits fällig gestellte Einlage noch nicht vollständig erbracht hat, aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, ohne dass zugleich mit dem Ausschluss ein Beschluss über die Verwertung seines Geschäftsanteils gefasst werden muss.“

 

Was ist hieran tatsächlich neu?

 

Wir erinnern uns:

  • Die Ausschließung aus der GmbH ist im GmbH-Gesetz nicht geregelt, sondern wurde im Ausgangspunkt durch Richterrecht entwickelt.
  • Eben weil dies so war und nur punktuell geschehen konnte, hat die Kautalarbranche seit Jahrzehnten bereits Klauseln bereitgestellt, die das Ausscheiden von Gesellschaftern aus einer GmbH auf der Basis privatautonomer Gestaltung regelten – die einen besser, die anderen schlechter. Der Akzent lag insoweit stets – in der Rechtsprechung vielleicht nicht immer ganz klar hervorgehoben – auf dem Element der Privatautonomie. Es durfte geregelt werden, was die Rechtsordnung als Vertragsgestaltung zuließ.

 

Nicht wirklich neu ist, was der BGH nun in der hier besprochenen Entscheidung selbst wiederholt (Rn 14):  Für die Wirksamkeit der Ausschließung aus der GmbH komme es nicht darauf an, dass diese lediglich als solche beschlossen wurde, dabei nicht aber auch  „über den Geschäftsanteil Beschluss gefasst worden ist“. Das nämlich war schon im Urteil vom 25.01.1960 – jedenfalls für einen damals voll eingezahlten Geschäftsanteil - zu lesen (BGHZ 32, 17, 23).  Es ist – wie wiederholt werden darf -  auch Ausdruck des Rechts zu privatautonomer Gestaltung: Wo keine gesetzliche Pflicht besteht, eine Entscheidung über das „Ob“ einer Ausschließung damit zu verbinden, wie die Gesellschafterversammlung das „Wie“ gestalten möchte, gibt es keinen plausiblen Grund, eine Trennung der Entscheidungen über „Ob“ und „Wie“ für zwingend notwendig zu erklären. „Neu“ ist eigentlich nur, dass klargestellt wurde, dass das schon vor 60 Jahren Entschiedene auch für teilweise eingezahlte Anteile gelten soll. Vor dem Hintergrund der §§ 33, 34 GmbHG wundert das nun aber wahrlich nicht.

 

Bei der Begründung des Urteils wirkt der Verweis auf BGHZ 9, 157, 167 mit der damaligen Aussage: „Die Ausschließung lässt den Geschäftsanteil unberührt“ (Rn 23) allerdings nicht überzeugend. Diese immer wieder zitierte Leitentscheidung handelte von einer Ausschließung bei Schweigen der Satzung und statuierte – letztlich in Anlehnung an § 140 HGB – das bis heute noch herrschende Theorem vom bedingten Gestaltungsurteil; danach soll erst die Bemessung und Zahlung der geschuldeten Abfindung den Bedingungseintritt für das Ausscheiden des GmbH-Gesellschafters bewirken. Genau wegen der fehlenden Praktikabilität eines solchen Prozederes bemühte sich die rechtsgestaltende Branche daraufhin allenthalben darum, dass es kein Schweigen der Satzung in genau diesem Punkt mehr gebe.  Aus diesem Grund trägt der Hinweis auf BGHZ 9, 157 die Entscheidung vom 04.08.2020 nicht.  Denn der damalige Leitfall hatte mit dem Prinzip der privatautonomen Gestaltung in einer GmbH-Satzung nichts zu tun.

 

Die Entscheidung vom 04.08.2020 lässt – was auffällt – dagegen eine jüngere markante Entscheidung unerwähnt: Der Senat  hatte im Jahr 2014 – unter Mitwirkung seines heutigen Vorsitzenden und eines weiteren Senatsmitglieds - einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem die angefochtenen Beschlüsse ebenfalls getrennt gefasst worden waren, mithin  den Beschluss über den Entzug der Mitgliedschaft als solcher einerseits und der Beschluss über die Bemessung der Höhe der Abfindung andererseits (BGHZ 201, 65 - Urteil vom 29.04.2014, II ZR 216/13).  Der Bundesgerichtshof hatte das seinerzeit wie selbstverständlich gelten lassen, hätte damals aber bereits hierzu schon etwas anmerken können. Denn damals hatte – dies nur im Sinne einer Randbemerkung – die Rechtskraft der Entscheidung über das „Ob“ (zugrunde lagen mehrere Straftaten der ausschließungsbetroffenen Gesellschafterin) – es gab keine Anschlussrevision hierzu - nichts daran geändert, dass der BGH die zuletzt allein streitige Herabsetzung der Abfindung auf Null durch die Gesellschafterversammlung für sittenwidrig ansah, obschon für den Fall eines zu weit gehenden Entscheids der Gesellschafterversammlung eine gleichsam spezial-salvatorische Klausel im GmbH-Vertrag enthalten war, die sich wie eine umgekehrte Anwendung des § 343 BGB las – nur damals allerdings nicht in den Augen des BGH.

 

Was bei alledem aus dem Sachverhalt des hier in Kürze besprochenen Revisionsurteil natürlich nicht bis ins letzte ersichtlich wird, sind folgende Aspekte:

 

Die Gesellschaft, die hier die Ausschließung betrieb, zog es wohl vor, sich auf ein statutarisch vorgesehenes Ausschließungsverfahren zu stützen, ohne in Erwägung zu ziehen, dass der nicht voll eingezahlte Geschäftsanteil, den der Gesellschafter im Rahmen einer Kapitalerhöhung bezogen hatte) nach den §§ 21 ff GmbHG kaduziert werden können. War hier am Ende mit der vielzitierten Kirche ums Dorf gefahren worden? Wahrscheinlich nicht (näheres ergäbe sich wohl aus den vorinstanzlichen Urteilen). Man muss die Entscheidung genau lesen, um zu erkennen, dass auch der Leitsatz nicht ganz präzise abgefasst ist: Es ging nicht etwa um die eine und einzige Einlage des Gesellschafters, der mit deren Leistung in Verzug war sondern um eine Einlage auf einen weiteren Geschäftsanteil. Somit erscheint jedenfalls kurz nachdenkenswert, was die Entscheidung des BGH naturgemäß nicht zu behandeln hatte: Darf eine Gesellschaft „voll-ausschließen“ derweil im Wege einer Kaduzierung nur die Ausschließung mit eben dem Geschäftsanteil möglich gewesen wäre, auf den die Einlage rückständig war? Im Sinne der Privatautonomie wird man sagen dürfen, dass dies im Grundsatz möglich sein muss, erhält der Gesellschafter im Zuge eines solchen Mitgliedschaftsentzugs doch eine Abfindung (im Ganzen), wohingegen er sie im Zuge einer Kaduzierung nach der heute immer noch ganz herrschenden Doktrin nicht erhält. Auf einem nochmals ganz anderen Blatt steht die Frage, ob es dem Grundsatz verhältnismäßiger Rechtsausübung entspricht, wenn die fehlende Einzahlung auf den einen Geschäftsanteil sogleich den Voll-Ausschluss des betreffenden Gesellschafters rechtfertigen soll.

 

Schlussfolgerungen für die Praxis:

 

  • Es ist endgültig klar geworden: In der GmbH-Gesellschafterversammlung muss die Entscheidung über die Ausschließung eines Gesellschafters nicht mit der Entscheidung verbunden werden, welches Schicksal der/die Geschäftsanteil/-e des betroffenen Gesellschafters nehmen soll bzw. sollen.
  • Sieht eine GmbH-Satzung vor, dass – neben den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 21 ff GmbHG – die fehlende Einzahlung (auf alle oder einen von mehreren Geschäftsanteilen) zur Ausschließung des Gesellschafters berechtigt, so hat die Gesellschaft, wenn die jeweiligen (hier: §§ 21 ff GmbHG – dort: Satzung) Ausschließungsvoraussetzungen erfüllt sind, ein Wahlrecht: Sie kann statutarisch die Ausschließung herbeiführen oder kaduzieren. Wird der nicht voll eingezahlte Anteil kaduziert, so schuldet die Gesellschaft dafür nach der herrschenden Rechtsauffassung keine Abfindung.  Wird die statutarische Ausschließung (im Ganzen) durchgeführt, schuldet die Gesellschaft dafür die nach dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene Abfindung.
  • Nicht endgültig klar ist, wie weit eine Abfindung limitiert werden darf, wenn die Nichtzahlung der Einlage auf einen von mindestens zwei oder mehreren Geschäftsanteilen der Ausschließungsgrund ist: Darf die Satzung in  diesem Fall – entsprechend der Rechtsfolge der Kaduzierung – den Gesellschafter ohne Abfindung ausschließen? Oder hat der im Leitsatz aus dem Urteil vom 29.04.2014 ausgedrückte Grundsatz auch in diesem Fall Vorrang, wonach eine Bestimmung in der Satzung einer GmbH, nach der im Fall einer (groben) Verletzung der Interessen der Gesellschaft oder der Pflichten des Gesellschafters keine Abfindung zu leisten ist, sittenwidrig ist?

 

Eine Frage des Einzelfalls wird es stets sein, ob es bei Nichtzahlung der Einlage auf einen von mindestens zwei oder mehreren Geschäftsanteilen nicht unverhältnismäßig ist, eine Ausschließung im Ganzen durchzuführen, anstelle sich vor dem Hintergrund, dass die Ausschließung eines Gesellschafters stets einen Ultima-Ratio-Charakter hat, auf eine Teil-Ausschließung zu beschränken.

Tätigkeitsfelder von Dr. Oliver Melber

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