Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat in einem Beschluss vom 16.05.2013, Az. VII ZB 61/12, klargestellt, dass ein Gericht in einem selbständigen Beweisverfahren einem nicht beteiligten Dritten nicht aufgeben kann, eine Bauteilöffnung in seiner Wohnung zum Zwecke der Beweissicherung zu dulden. Hierzu führt er aus, dass zur Wohnung in diesem Sinne auch eine im Gemeinschaftseigentum stehende Außentreppe, ein Fahrradkeller und eine Tiefgarage gehören.
Ausgangspunkt dieser Entscheidung war die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens durch Miteigentümer eines Objektes gegen den Bauherrn sowie den planenden und bauleitenden Architekten dieses Objektes zur Feststellung von Mängeln der im Gemeinschaftseigentum stehenden Bausubstanz. Zur umfassenden sachverständigen Feststellung war eine Bauteilöffnung des Gemeinschaftseigentums notwendig. Das Landgericht Landshut ordnete in der Folge die Duldung von fachmännisch durchgeführten Bauteilöffnungen an der Außentreppe, dem Flachdachanschluss einer Wohnung, im Eingangselement, der Decke des Fahrradkellers und der Tiefgaragendecke durch sämtliche Eigentümer bzw. der Eigentümergemeinschaft an. Hiergegen legten eine am Beweisverfahren nicht beteiligte Wohnungseigentümerin sowie die Wohnungseigentümergemeinschaft mit Erfolg Beschwerde ein. Das OLG München hob das Zwischenurteil auf und lehnte den Antrag auf Duldung der Bauteilöffnung ab. Die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde der Miteigentümer sah der BGH als unbegründet an.
Die Frage der generellen Anwendbarkeit der §§ 142 – 144 ZPO im selbständigen Beweisverfahren wurde jedoch durch den BGH offengelassen. In Literatur sowie Rechtsprechung wird vertreten, dass diese Vorschriften anwendbar sind. Nach Ansicht des Senats sprechen jedoch sowohl Gesetzeswortlaut und -systematik, als auch Sinn und Zweck der Vorschriften sowie der Umstand, dass beispielsweise eine Urkundenvorlage im selbständigen Beweisverfahren nicht erzwingbar ist, gegen eine Anwendung.
So kann nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO die Duldung einer Sachverständigenbegutachtung angeordnet werden, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist. Gem. Abs. 2 sind Dritte zur Duldung nicht verpflichtet, soweit Ihnen diese nicht zumutbar ist oder Ihnen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Der Gesetzgeber hat sich bei der Auslegung dieser zivilrechtlichen Vorschrift an dem Wohnungsbegriff des Art. 13 GG orientiert. Sachlicher Schutzbereich des Art. 13 GG ist das befriedete Besitztum bzw. jeder Raum, den der Einzelne der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und zum Ort seines Lebens und Wirkens bestimmt. Hierzu zählen neben der Wohnung, auch der öffentlichen Zugänglichkeit entzogene Nebenräume, wie Keller, Garage usw. sowie an ein Haus unmittelbar angrenzender befriedeter Garten, Innenhof oder Spielplatz. Umfasst sind somit Innen- und Außenbereiche. Vom persönlichen Schutzbereich ist jeder unmittelbare Besitzer umfasst sowie über Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen und Personenvereinigungen, wie vorliegend die Wohnungseigentümergemeinschaft im Rahmen der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums gem. § 10 Abs. 6 WEG.
Damit ist das Gemeinschaftseigentum im Umfang der begehrten Bauteilöffnung einer Duldungsanordnung entzogen.
Diese Entscheidung wird sicherlich eine Rolle im WEG-Recht spielen, insbesondere bezüglich des räumlichen Schutzes der Privatsphäre. Auch Bezüge zum Mietrecht sind gegeben, soweit ein Dritter i.S. des Gesetzes ein Mieter ist. Sie stützt damit die Rechte der Mieter.
Es besteht nunmehr Klarheit bezüglich des Schutzes der Wohnung vor Eingriffen aufgrund von prozessualen Maßnahmen. Die Beweissicherung von Schäden am Wohnungseigentum wird jedoch erschwert.
Jan Helge Kestel
Fachanwalt für Miet- und WEG-Recht
Erfurt