Jahresfrist für Klage und Widerspruch bei nachbarlicher Bautätigkeit

Das OVG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 29.04.2010 (AZ: 1055/10) entschieden, dass die Jahresfrist für die Erhebung einer Klage und eines Widerspruchs gegen eine dem Nachbarn nicht bekannt gegebene Baugenehmigung auch dann läuft, wenn die Bautätigkeit zwar nicht vom Nachbargrundstück aus erkennbar ist, aber ein vom Straßenraum aus sichtbarer Turmdrehkran auf umfangreiche Bautätigkeiten hinweist.

Der Entscheidung lag zugrunde, dass sich die Eigentümerin eines Grundstücks gegen eine herangerückte Wohnbebauung auf einem Nachbargrundstück, das sie von ihrem Grundstück jedoch nicht einsehen konnte, wendete. Die Baugenehmigung wurde der Eigentümerin jedoch nicht bekannt gegeben.

Das OVG Berlin-Brandenburg hat nun entschieden, dass die Eigentümerin das Widerspruchsrecht durch Zeitablauf verwirkt habe. Zwar setze die – gegenüber der Eigentümerin – nicht bekannt gegebene Baugenehmigung nicht die reguläre einmonatige Widerspruchsfrist in Gang. Allerdings betrage diese (nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung) in einem solchen Fall ein Jahr. Dabei laufe, so das OVG Berlin-Brandenburg, diese Frist ab dem Zeitpunkt, ab dem ein Nachbar sichere Kenntnis von der erteilten Baugenehmigung erlangt hat oder hätte erlangen können. Maßgeblich sei der Zeitpunkt der objektiven Erkennbarkeit der Beeinträchtigungen. Relevant seien in der Regel die tatsächlichen Vorgänge des Baugeschehens, wie etwa deutlich wahrnehmbare Bauarbeiten, die auf die Erteilung einer Baugenehmigung (wenn auch nicht zwingend) schließen lassen. Zwar, so das OVG Berlin-Brandenburg, müsse ein Grundstückseigentümer nicht ständig die angrenzenden Nachbargrundstücke im Blick behalten. Wenn jedoch deutlich sichtbare Hinweise auf umfangreiche Bauarbeiten vorhanden sind (wie z.B. ein hoher Turmdrehkran), entsteht eine Erkundigungspflicht. Dabei könne es auch genügen, wenn die Hinweise auf die Bauarbeiten zwar nicht vom Nachbargrundstück aus selbst erkennbar sind, sondern etwa von der Straße aus. In einer solchen Situation entstehe eine besondere Mitwirkungsobliegenheit, die sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergebe und die eine Pflicht zur Schadensminderung – durch zeitnahen Widerspruch – ergebe.

Deuten also objektive Anzeichen auf eine Bautätigkeit hin, so ist es zur Vermeidung von Fristversäumnissen geboten, sich bei der Bauaufsichtsbehörde nach einer Baugenehmigung und nach den näheren Einzelheiten zu erkundigen. Für den Bauherrn hingegen bedeutet diese Entscheidung, dass er jedenfalls nach Ablauf der Jahresfrist – seit deutlich erkennbarem Baubeginn – nicht mehr mit einem erfolgreichen Rechtsbehelf gegen die Baugenehmigung rechnen muss.

Dr. Rico Faller

 

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Karlsruhe