Der VGH Mannheim bringt bei Spielhallen den Schwellenwert von 100 m² Nutzfläche ins Wanken und äußert sich zum Trading-Down-Effekt

Mit Urteil vom 16.02.2011 (AZ: 3 S 445/09) hat der VGH Mannheim eine Entscheidung getroffen, in der auf zwei die Bebauungsplanpraxis immer wieder beschäftigende Aspekte eingegangen wird. Zum einen geht es in der Entscheidung um die Maßgeblichkeit des Schwellenwertes von 100 m² Nutzfläche für die Abgrenzung von mischgebietsverträglichen zu kerngebietstypischen Spielhallen (1). Zum anderen hat das Gericht auch Stellung zur Unzulässigkeit einer Spielhalle im Einzelfall, also zur Anwendung des § 15 BauNVO und zum Trading-Down-Effekt Stellung genommen (2).

1. Zum Schwellenwert

Die Frage, ob eine Spielhalle in einem Mischgebiet zulässig ist oder nicht hat aufgrund der teilweise drastisch zunehmenden Nachfrage in Innenstädten (die nicht selten als Mischgebiete zu qualifizieren sind) eine neue Brisanz erhalten. Letztlich geht es hier um die Frage nach der Abgrenzung einer mischgebietsverträglichen zu einer kerngebietstypischen Spielhalle.

Kerngebietstypisch sind nach allgemeiner Auffassung solche Vergnügungsstätten, die als zentrale Dienstleistungsbetriebe einen größeren Einzugsbereich haben und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein sollen. Allein ein übergemeindlicher Kundenstamm macht eine Einrichtung jedoch noch nicht zu einer kerngebietstypischen Einrichtung. Vielmehr muss eine gewisse Größe des Betriebs hinzukommen. Denn maßgebend für die Unverträglichkeit einer Vergnügungsstätte mit einer Wohnnutzung (die ja im Mischgebiet vorhanden ist) ist der Störungsgrad der Einrichtung. Dieser hängt entscheidend von der Größe des Betriebs ab, die wiederum durch die Fläche (Raumgröße), die Zahl und die Art der Spielgeräte sowie die Zahl der Besucherplätze bestimmt wird (siehe etwa BVerwG, NVwZ 1991, 264).

Der anerkannte Schwellenwert von 100 m² Nutzfläche, der natürlich nur einen ersten – aber wesentlichen – Anhaltspunkt darstellt, hatte als Ausgangspunkt die Regelung in § 3 Abs. 2 SpielV in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung. Diese Vorschrift regelte, dass je 15 m² Grundfläche höchstens 1 Geld- oder Warenspielgerät aufgestellt werden durfte; insgesamt war die Anzahl dieser Geräte auf 10 beschränkt. In Betrieben mit einer Nutzfläche von ca. 100 m² waren somit max. 6 Geld- oder Warenspielgeräte zulässig. Auf dieser Grundlage hat sich die Rechtsprechung im Laufe der Zeit auf den Schwellenwert von ca. 100 m² „eingependelt“.

Aufgrund der Änderung der Spielverordnung zum 01.01.2006 darf nunmehr nicht mehr nur je 15 m² Grundfläche, sondern je 12 m² Grundfläche ein Geld- oder Warenspielgerät aufgestellt werden. Die maximal zulässige Anzahl solcher Spielgeräte je Betrieb wurde gleichzeitig von 10 auf 12 erhöht. Aufgrund dieser Änderung hat der VGH Mannheim „erhebliche Zweifel“ daran, ob unter der Geltung der neuen Spielverordnung der Abgrenzung von mischgebietsverträglichen zu kerngebietstypischen Spielhallen weiterhin der Schwellenwert von 100 m² Nutzfläche zu Grunde zu legen ist. Es liege daher nahe, so der VGH Baden-Württemberg, für die Abgrenzung einer kerngebietstypischen zu einer mischgebietsverträglichen Spielhalle künftig auf die Anzahl der in dem Vorhaben geplanten Besucherplätze abzustellen, und zwar losgelöst von den Regelungen der Spielverordnung über die zulässige Anzahl an Geldspielgeräten.

Im konkreten Fall hat der VGH Mannheim dem Vorhaben die Mischverträglichkeit nicht abgesprochen. Denn in der geplanten Spielhalle sind neben den 8 Geldspielgeräten nur noch ein weiteres Unterhaltungsgerät und ein Billardtisch vorgesehen.

2. Zur Unzulässigkeit im Einzelfall

Der VGH Mannheim hat sodann zur Vereinbarkeit des Vorhabens im Einzelfall nach § 15 BauNVO Stellung genommen. Nach dieser Vorschrift ist eine – an sich in dem jeweiligen Bebauungsplangebiet zulässige – Anlage im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Ein Widerspruch nach dem „Umfang“ kann sich sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht ergeben.

Unter diesem Blickwinkel hat der VGH Mannheim für den konkreten Fall festgestellt, dass das Vorhaben jedenfalls in der Zusammenschau mit der Anzahl und insbesondere der Lage der bereits existierenden Spielhalle dieser Eigenart widerspricht. Denn das Vorhaben befindet sich in einer vorwiegend durch Wohnnutzung geprägten Umgebung und besitzt gemeinsam mit der angrenzenden, bereits vorhandenen Spielhalle über 30 Spielerplätze bzw. ca. 50 Besucherplätze. Beide Spielhallen, so der VGH Mannheim, hätten gemeinsam aufgrund ihrer stärkeren Magnetwirkung einen größeren Einzugsbereich und wären geeignet, die gegebene Situation negativ in Bewegung zu bringen. Es entspreche einem städtebaulichen Erfahrungssatz, so der VGH Mannheim, dass sich Vergnügungsstätten, zumindest wenn sie in einem Gebiet gehäuft vorhanden sind, negativ auf die Umgebung auswirken, indem sie den sogenannten Trading-Down-Effekt auslösen. Dieser Effekt werde durch die „Sogwirkung“ von Vergnügungsstätten verursacht. Denn je mehr solcher Nutzungen in einem bestimmten Gebiet bereits vorhanden seien, desto eher würden weitere folgen. Durch das verstärkte Nachrücken von Vergnügungsstätten in freiwerdende Fachgeschäfte verliere aber ein Baugebiet an Attraktivität mit der Folge weiterer Abwanderung von Einzelhandelsgeschäften und solcher Nutzungen, die sich eher unproblematisch mit einer Wohnnutzung vertragen. Hinzu komme, dass häufig eine Konkurrenzsituation zwischen Betrieben mit typischerweise geringem Investitionsbedarf und vergleichsweiser hoher Ertragsstärke sowie „normalen“ Gewerbebetrieben mit deutlich höherem Investitionsbedarf und geringerer Ertragsstärke entstehe. Dies führe tendenziell zu einer Erhöhung der Grundstücks- und Mietpreise und damit zu einer Verdrängung von Gewerbebranchen. Diese Entwicklung habe wiederum negative Auswirkungen auf die Qualität eines Baugebiets als Wohnquartier, so dass insgesamt eine schleichende Verschlechterung der Gebietsqualität stattfinde.

3. Fazit

Die Entscheidung des VGH Mannheim bringt einerseits neue Impulse für Abgrenzungsfragen im Bereich der Vergnügungsstätten-Problematik, wobei allerdings nur gewisse Ansatzpunkte vorgeschlagen werden. Zum anderen ermöglicht die Entscheidung aufgrund der Ausführungen zum Trading-Down-Effekt eine leichtere Handhabung der gesetzlichen Vorgaben, indem das Gericht einen Erfahrungssatz aufstellt bzw. bekräftigt, an den die Praxis der Bauleitplanung anknüpfen kann. Allerdings – und so dürfte die Entscheidung auch nicht zu verstehen sein – darf dies nicht dazu führen, dass ein solcher Effekt voreilig ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände vor Ort angenommen wird. Denn dies dürfte nach wie vor für eine rechtssichere Bebauungsplanung unerlässlich sein.

Dr. Rico Faller

 

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Karlsruhe