Das Lieferkettengesetz und seine unternehmerische Bedeutung - Zweck, Anwendungsbereich, unternehmerische Pflichten

 

I.

Regelungsüberblick

 

1. Zweck des Gesetzes

Um der Erfüllung ihrer besonderen Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte einen Schritt näherzukommen, veröffentlichte die Bundesregierung nunmehr den Referentenentwurf für ein Lieferkettengesetz, welches nach diesem Entwurf als Sorgfaltspflichtengesetz ausgestaltet werden soll. Durch dieses Gesetz werden in Deutschland ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte durch die Implementierung der Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht nachzukommen. Laut des Entwurfs besteht das vorrangige Ziel der Regelung darin, die Rechte der von Unternehmensaktivitäten betroffenen Menschen in den Lieferketten zu stärken, jedoch nicht ohne auch den legitimen Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung zu tragen.

 

2. Anwendungsbereich

Das Lieferkettengesetz wird sich entsprechend den Vorgaben des Referentenentwurfs an solche Unternehmen aller Rechtsformen mit Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder Sitz im Inland richten, die in der Regel mehr als 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 wird dieser Schwellenwert auf 1.000 Arbeitnehmer abgesenkt. Bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl sind sowohl Leiharbeiter, soweit sie mehr als sechs Monate im Betrieb beschäftigt sind, als auch zulasten einer Konzernmutter sämtliche Arbeitnehmer iSd § 15 AktG verbundener Konzernunternehmen zu berücksichtigen.

 

3. Sorgfaltsmaßstab

§§ 3, 2 VI des Referentenentwurfs bestimmen, dass Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, die menschenrechtliche Sorgfalt in angemessener Weise zu beachten haben – und zwar entsprechend der Art und des Umfangs der Geschäftstätigkeit sowie der zu erwartenden Schwere der Menschenrechtsverletzung und  des Einflussvermögens des Unternehmens. Diese Sorgfaltspflichten beziehen sich insbesondere auch auf unmittelbare und mittelbare Zulieferer des durch das Lieferkettengesetz verpflichteten Unternehmens.

 

4. Unternehmerische Pflichten

Folgende einzelne unternehmerische Pflichten gestalten den Umfang der zuvor definierten Sorgfaltspflicht näher aus:

 

a) Risikomanagement

In einem ersten Schritt müssen Unternehmen ihre Compliance-Strukturen dahingehend erweitern, dass in allen maßgeblichen unternehmensinternen Geschäftsabläufen durch angemessene Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass Risiken einer Menschenrechtsverletzung bestmöglich minimiert werden.

 

Im Rahmen eines solchen Risikomanagements müssen Risiken innerhalb der Lieferkette ermittelt und bewertet und jährlich sowie anlassbezogen im Wege einer Risikoanalyse den maßgeblichen Entscheidungsträgern bekannt gemacht werden.

 

Als relevante Risikofelder benennt das Gesetz dabei insbesondere Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, Verstoß gegen die Vereinigungsfreiheit, problematische Anstellungs- und Arbeitsbedingungen und Umweltschädigungen.

 

Hinsichtlich der Ausgestaltung des Risikomanagements wird in § 9 des Gesetzesentwurfs die Einrichtung eines internen oder externen Beschwerdeverfahrens vorgeschrieben, durch das sämtliche Personen, die Kenntnis von möglichen Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Lieferkette erlangt haben, hierauf hinweisen können.

 

Ferner sind die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu dokumentieren, die Dokumente über einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren aufzubewahren und auf der Homepage des Unternehmens im Jahresrhythmus über den Bestand etwaiger Menschenrechtsrisiken zu berichten. Dieser Bericht ist überdies den zuständigen Behörden zu übermitteln.

 

Soweit auch für das Verhalten mittelbarer Zulieferer bis hin zum Rohstofflieferanten Sorge getragen werden muss, gilt dies nur in abgestufter Form. Eine Risikoanalyse müssen Unternehmen hier nur dann vornehmen, wenn Beschwerden von Mitarbeitern eines mittelbaren Zulieferers das deutsche Unternehmen erreichen.

 

b) Folgemaßnahmen

Werden im Rahmen der Risiko-Compliance Risiken einer Menschenrechtsverletzung festgestellt, entstehen seitens des Unternehmens Folgepflichten. Es sind angemessene Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und zu implementieren. Insoweit werden durch den Gesetzesentwurf einige mögliche Maßnahmen benannt, die insbesondere aus der Verfolgung einer geeigneten Strategie zur Wahrung der Menschenrechte und der Schulung des Personals bestehen.

Mindestvoraussetzung der zu ergreifenden Präventionsmaßnahmen ist indes die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung durch die Geschäftsleitung. Hierin sind die festgestellten Risiken und die hierdurch verfehlten Erwartungen des Unternehmens gegenüber Beschäftigten und Zulieferern hinsichtlich der Wahrung der menschenrechtlichen Standards darzulegen. Darüber hinaus ist zu beschreiben, mithilfe welcher Maßnahmen die hieraus entstandenen Sorgfaltspflichten gewahrt werden soll.

 

Soweit ein Unternehmen überdies tatsächliche Verletzungen geschützter Menschenrechtspositionen in der Lieferkette feststellt, muss es unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen. Der Abbruch der Geschäftsbeziehungen ist dabei erst als Ultima Ratio in Erwägung zu ziehen, soweit besonders schweren Menschenrechtsverletzungen nicht anderweitig abgeholfen werden kann.

 

5. Kontrolle und Sanktionen

Zur Durchsetzung der unternehmerischen Pflichten sieht der Gesetzesentwurf einige behördliche Kontrollbefugnisse und Sanktionsmöglichkeiten vor:

 

a) Kontrollbefugnisse

Wie bereits dargelegt ist den zuständigen Behörden in einem ersten Schritt der Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu übermitteln und dieser sodann behördlich auf Unregelmäßigkeiten zu überprüfen.

 

Um die Folgen von Verstößen gegen die sich aus dem Lieferkettengesetz ergebenden Pflichten zu beseitigen, werden die Behörden ermächtigt, die hierzu erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen zu treffen. Das Tätigwerden der Behörden kann dabei durch Antrag einer möglicherweise iSd Gesetzes verletzten Person eingeleitet werden oder von Amts wegen erfolgen.

Im Einzelnen wird insbesondere das Recht eingeräumt, Betriebsgrundstücke, Geschäftsräume und Wirtschaftsgebäude der Unternehmen während der üblichen Geschäfts- oder Betriebszeiten zu betreten und zu besichtigen sowie das Recht Unterlagen einzusehen und die notwendigen Auskünfte zu verlangen. Die jeweilige Geschäftsleitung hat die Durchführung dieser Maßnahmen zu dulden und darüber hinaus an deren Verwirklichung mitzuwirken.

 

b) Sanktionen

Wer gegen die Pflichten des Lieferkettengesetzes verstößt, sieht sich einer Reihe von Sanktionsmöglichkeiten gegenüber. Hierzu gehört zunächst die Gefahr, von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen zu werden. 

Ferner wird die Obergrenze des § 11 VwVG für die Verhängung eines Zwangsgeldes auf 50.000,00 € angehoben.

 

Schließlich stellt ein Verstoß gegen das Lieferkettengesetz eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit dar.

 

6. Prozessuales

Im Übrigen wird durch das Gesetz die prozessuale Möglichkeit einer besonderen Prozessstandschaft durch Gewerkschaften und NGOs zur Wahrnehmung der Rechte der in ihren Menschenrechten verletzten Arbeitnehmer vorgesehen.

 

II.

Bedeutung für den Unternehmer

 

Angesichts des noch in dieser Legislaturperiode zu erwartenden Inkrafttretens des Lieferkettengesetzes sollte die Compliance-Organisation um Menschenrechts- und Umweltgesichtspunkte in der Lieferkette erweitert werden.

 

Es sollten rechtliche Strukturen geschaffen werden, die eine erfolgsversprechende Risikoanalyse, in der das Risiko möglicher Menschenrechtsverletzungen zu bewerten ist, gewährleisten. Als Orientierungshilfe zur Implementierung solcher Compliance-Management-Systeme dienen hier sowohl die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als auch der Nationale Aktionsplan, in dessen Rahmen unter anderem ein kostenloses Online-Tool für die Durchführung eines „CSR Risiko-Checks“ angeboten wird.

 

Überdies hat der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) bereits im August 2019 in Kooperation mit dem JARO Institut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung e. V. einen 44-seitigen Leitfaden mit dem Titel „Nachhaltige Beschaffung“ veröffentlicht. Der Leitfaden ist als praktische Arbeitshilfe gedacht und richtet sich daher insbesondere an für den Einkauf Verantwortliche in Unternehmen.

 

Stellt ein Unternehmen fest, dass Risiken innerhalb einer Lieferkette bestehen, muss es Maßnahmen zur Prävention treffen, beispielsweise durch entsprechende Vereinbarungen mit Lieferanten, in denen entsprechende Sorgfaltspflichten auch dem Lieferanten auferlegt werden, wonach Menschenrechte, Arbeitnehmerbelange und Umweltstandards einzuhalten sind. Auch ein Screening aktueller wie künftiger Lieferanten im Hinblick auf ihre Fähigkeit Sorgfaltspflichten einzuhalten, ist empfehlenswert. Möglich ist auch, dass Lieferantenvereinbarungen auf einen „Verhaltenskodex“ verweisen, mit dem das Unternehmen seine Erwartungen an die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten verbindlich beschreibt. Als vertragliche Sanktionen können Kündigungsrechte, Freistellungsansprüche und Schadensersatzansprüche fixiert werden. Des Weiteren kann der Lieferant dazu verpflichtet werden, für die Einhaltung von Compliance-Standards auch in der nachgelagerten Lieferkette zu sorgen.

 

Gegenstand der Compliance entlang der Lieferkette müssen schließlich auch die übrigen durch das Lieferkettengesetz angeordneten und unter I. 4. genannten Vorgaben sein.

 

Den für eine derartige Ausweitung der Compliance-Strukturen im Unternehmen erforderlichen Mehrkosten stehen – vom Schutz vor der Verletzung von Menschenrechten einmal abgesehen – die finanziellen Gefahren empfindlicher Bußgelder, sowie zu erwartende Imageschäden und nicht zuletzt steigende Kosten im Bereich der Corporate Litigation gegenüber; diese drohen bedingt durch die gesetzlich angeordnete Möglichkeit der Prozessstandschaft zugunsten von Gewerkschaften und NGOs.

Rechtsanwalt Jörg Schröder und Rechtsreferendar Philipp Kaiser

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