Anfechtung von Lohnzahlungen durch den Insolvenzverwalter

Die Insolvenzverwalter sind in letzter Zeit verstärkt dazu übergegangen, gegenüber Arbeitnehmern Lohnzahlungen anzufechten, die in der Krise ihres Arbeitgebers oder kurz vor dem Insolvenzantrag geleistet wurden. In einer Vielzahl von Fällen wurden die zuletzt gezahlten Nettolöhne zurückgefordert.

Die Frage, inwiefern eine solche Anfechtung möglich ist und was die Voraussetzungen in diesen speziellen Fällen sein konnten, war lange umstritten. Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt in mehreren Urteilen vom 06.10.2011 (6 AZR 262/10, 6 AZR 731/10, 6 AZR 732/10) hierzu grundlegende Äußerungen abgegeben.

In Betracht kommen hier grundsätzlich die Anfechtungstatbestände der kongruenten Deckung gemäß § 130 InsO und der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO, die Anfechtungszeiträume von drei Monaten beziehungsweise zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag umfassen. Ansatzpunkt der Insolvenzverwalter ist, dass der Lohn nicht regelmäßig gezahlt wurde und gewisse Lohnrückstände noch in der kritischen Zeit vor dem Insolvenzantrag gezahlt wurden. Ein Insolvenzverwalter benötigt solche Anhaltspunkte, da Anfechtungsvoraussetzung des § 130 InsO zum einen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zum Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung, also der Nachzahlung des überfälligen Lohns, ist und zum anderen der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit hätte kennen müssen, beziehungsweise Umstände kennen musste, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Einen noch weitergehenden Zeitraum umfasst die Anfechtung gemäß §133 InsO, wo der Gläubiger den Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, kennen muss. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

Insolvenzverwalter hatten eine solche Kenntnis dann angenommen, wenn die Arbeitgeber in Zahlungsschwierigkeiten geraten waren und den Lohn nur teilweise ausgezahlt hatten und zwar an weite Teile der Belegschaft und diesen Lohn dann erst sehr (viel) später nachgezahlt hatten.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun wohl zum Schutz der Arbeitnehmer die Anfechtungsvoraussetzungen eingegrenzt. Zum einen hat es ausgeführt, dass, soweit Gehaltszahlungen die vorausgehenden drei Monate erfassen und der Bezahlung der dort erbrachten Arbeitsleistungen dienen, ein Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO vorliegt, was einer Anfechtung gemäß §130 InsO ausschließt, weil ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Gegenleistung besteht.

Selbst die Kenntnis der Arbeitnehmer von der zeitlichen Dauer und Höhe der eigenen Gehaltsrückstände sowie von der Tatsache, dass der Arbeitgeber gegenüber einem Großteil der Kollegen ebenfalls seit mehreren Monaten Vergütungszahlungen zu spät oder überhaupt nicht geleistet hat, hielt das BAG in den entschiedenen Einzelfällen für unzureichend, denn diese Umstände ließen kein endgültiges Urteil über die Liquidität des Schuldners zu. Etwas anderes dürfte wohl gelten, wenn der Arbeitnehmer Einblick in die Finanzbuchhaltung des Schuldners hat oder Leitungsaufgaben im kaufmännischen Bereich wahrnimmt. Denn dann hatte er eventuell Einblick in die gesamte Finanzlage des Arbeitgebers. Gleiches kann gelten, wenn weitere Umstände hinzutreten wie z. B. die Kenntnis von großen Rückständen gegenüber Lieferanten oder ähnliche Liquiditätslücken, die erkennen lassen, dass Zahlungsunfähigkeit vorliegt.

Gerade in größeren Unternehmen dürften diese Sonderkenntnisse bei den meisten Arbeitnehmern aber regelmäßig ausgeschlossen sein.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zum Schutz der Arbeitnehmer zu begrüßen. Auch vor dem Hintergrund der Erhöhung der Chancen einer Sanierung ist diese Entscheidung wichtig, denn im Falle einer erfolgreichen Anfechtung würden diese Gelder, sofern sie die letzten drei Monate vor Insolvenzantrag betreffen, durch Insolvenzgeld abgedeckt werden. Oft ist es aber so, dass ein Insolvenzverwalter diesen Insolvenzgeldzeitraum von maximal drei Monaten für die Fortführung des Unternehmens und für den Erhalt von zumindest eines Teils der Arbeitsplätze nutzen muss. Würde jetzt in der Regel bei unregelmäßigen Lohnzahlungen eine Anfechtung gegenüber den Arbeitnehmern durchgreifen, so würde das Insolvenzgeld nicht mehr für Sanierungsbemühungen zur Verfügung stehen, da es in diesen Fällen die Rückerstattung abdecken müsste.

Christian Schlemmer

 

Rechtsanwalt

Karlsruhe