Probleme in der Lieferkette am aktuellen Beispiel des Coronavirus (SARS-CoV-2) (Teil 2)

Teil 2: Wenn Lieferanten nicht mehr liefern können…
Ausschluss der Leistungspflicht und Leistungsverweigerungsrecht gem. § 275 BGB

 

Viele Unternehmen haben momentan mit den Folgen der COVID-19-Pandemie zu kämpfen. An diesem aktuellen Beispiel wird deutlich, dass ein Vorfall dieses Ausmaßes zu vielen Problemen in den Lieferketten der (Welt-)Wirtschaft führen kann. So kann der Fall eintreten, dass ein Hersteller, Zulieferer etc. als Schuldner einem Gläubiger eine vereinbarte Ware aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie nicht mehr liefern kann.

Daher stellt sich für viele Unternehmen die Frage, welche Rechte und welche Handlungsmöglichkeiten sie in einem solchen Fall haben.

Wenn Lieferanten aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht mehr liefern können, kann sich für den Schuldner u.a. ein Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGB ergeben. Weitere Rechte und Handlungsmöglichkeiten werden außerdem in den Fortsetzungsbeiträgen Teil 3 bis 5 dargestellt.

 

a) § 275 Abs. 1 BGB

Der Anspruch eines Gläubigers auf Leistung könnte wegen Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB erloschen sein.

 

§ 275 Abs. 1 BGB
Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

 

Fraglich ist, ob bzw. welche Form der Unmöglichkeit durch die COVID-19-Pandemie herbeigeführt wird.

Zum einen kommt eine „rechtliche Unmöglichkeit“ in Betracht. Diese liegt vor, wenn der geschuldete Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt werden darf. Damit sind Fälle gemeint, in denen der geschuldete Erfolg zwar grundsätzlich herbeigeführt werden könnte, der Schuldner aber zur Bewirkung der Leistung gegen die Rechtsordnung verstoßen müsste.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie werden neue Rechtsakte und wirtschaftliche Reglementierungen durch Legislative und Exekutive erlassen. Wenn diese Rechtsakte Verbote für bestimmte Produktionen oder den Lieferverkehr vorsehen, wird es sich um einen Fall der rechtlichen Unmöglichkeit i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB handeln.

Probleme können sich jedoch dann ergeben, wenn lediglich Empfehlungen ausgesprochen werden, die es dem Schuldner überlassen, personelle Einschränkungen und Einschränkungen in der Produktion vorzunehmen. In diesem Fall würde eine rechtliche Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB nicht bestehen.

Da die Lieferketten häufig internationale Bezüge aufweisen, kann die Anwendung des § 275 BGB auch von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO begleitet werden. Dieser eröffnet die Anwendbarkeit einer fremdstaatlichen Eingriffsnorm als Rechtsnorm, wie zum Beispiel ein ausländisches Verbotsgesetz, das aufgrund des Coronavirus (SARS-CoV-2) erlassen wurde. Auf eine Prüfung der Gültigkeit dürfte es hierbei regelmäßig nicht ankommen, da Einschränkungen und Verbote zu untersuchen wären, die dem Allgemeinwohl und der Gesundheit der Weltbevölkerung dienen und somit umfassende Eingriffe in Rechte ermöglichen.

 

  • Es ist daher für Unternehmen im Einzelfall zu untersuchen, ob es rechtliche Verbote, Allgemeinverfügungen oder sonstige Rechtsakte gibt, die Schuldner in ihrer Leistungsmöglichkeit einschränken.

 

Eine Unmöglichkeit kann im Falle einer zeitlichen Verzögerung der Leistung auch für absolute Fixgeschäfte angenommen werden. Dabei handelt es sich um Verträge, bei denen die Leistungszeit derart wichtig ist, dass die Leistung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen soll, und nach dessen Ablauf den Leistungszweck des Gläubigers nicht mehr verwirklichen kann. Eine zeitliche Verzögerung könnte z.B. dadurch entstehen, dass aufgrund der COVID-19-Pandemie Engpässe in den Lieferketten entstehen, weil Unternehmen mit weniger Mitarbeitern oder weniger Ressourcen produzieren können oder Lieferwege aufgrund verstärkter Kontrollen länger dauern.

Die zeitlich verspätete Leistung bei einem relativen Fixgeschäft führt dagegen nicht unmittelbar zu einer Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB. Bei einem relativen Fixgeschäft ist eine Erfüllung der Leistung grundsätzlich auch noch zu einem verspäteten Zeitpunkt möglich, allerdings liegt sie dann nicht mehr in dem Interesse des Gläubigers. Dieser kann sich in einem solchen Fall jedoch ggf. unter den Voraussetzungen des § 376 HGB von dem Vertrag lösen.

 

  • Es ist daher für Unternehmen im Einzelfall zu untersuchen, ob ein relatives oder absolutes Fixgeschäft zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger vereinbart wurde und bei einer verzögerten Leistung ein Ausschluss wegen Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB gegeben ist.

 

b) § 275 Abs. 2 BGB

Alternativ könnte der Schuldner auch ein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 275 Abs. 2 BGB geltend machen. Dabei handelt es sich um eine Einrede, die gegenüber dem Gläubiger erhoben werden muss. Es ist in diesem Fall nicht erforderlich, dass die Leistung für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

 

§ 275 Abs. 2 BGB
Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.

 

Stattdessen ist eine Abwägung zwischen dem Leistungsaufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers vorzunehmen, wobei der Inhalt des Schuldverhältnisses und das Gebot von Treu und Glauben berücksichtigt werden.

Auch dieser Fall könnte für deutsche Unternehmen sowohl auf Seite des Gläubigers, als auch auf Seite des Schuldners während der COVID-19-Pandemie interessant sein. Falls z.B. das Unternehmen ein Teil der Lieferkette ist und von seinem Zulieferer keine Ware mehr erhält, selber aber weiterhin als Zulieferer jemand anderem zur Lieferung der Ware verpflichtet ist, könnte es in die Lage geraten, die Ware unter erheblichem Aufwand von einem anderen Zulieferer zu beschaffen. Grundsätzlich trägt der Schuldner das Beschaffungsrisiko dann selbst. Allerdings könnte aufgrund der derzeitigen Ausnahmesituation der § 275 Abs. 2 BGB als Handlungsoption einschlägig sein.

 

  • Aus Sicht des Unternehmens ist deshalb im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Leistungsaufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers vorzunehmen und zu prüfen, ob dazwischen ein grobes Missverhältnis besteht.

 

Solange das Leistungshindernis auf die COVID-19-Pandemie zurück zu führen ist, kann aber zumindest zugunsten des Schuldners berücksichtigt werden, dass der Schuldner das Leistungshindernis nicht zu vertreten hat.

 

c) Rechtsfolgen

Für den Fall, dass der Schuldner aufgrund von Unmöglichkeit nach § 275 BGB nicht leisten braucht, entfällt gem. § 326 Abs. 1 BGB auch der Anspruch auf die Gegenleistung.

Falls das deutsche Unternehmen auf der Gläubigerseite steht, kann es nicht auf eine Leistungserfüllung bestehen, gleichzeitig muss es aber auch keine Gegenleistung, wie z.B. eine Kaufpreiszahlung dafür erbringen.

Auf der Schuldnerseite wird das Unternehmen von seiner Leistungspflicht befreit, kann dafür aber auch keine Gegenleistung mehr verlangen.

Tätigkeitsfelder von Jörg Schröder

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