EuGH, Urteil vom 26.03.2020 (C-66/19): Deutsches Kreditrecht europarechtswidrig? Droht neue "Widerrufwelle"?

Der gestrige Tag brachte mit dem Urteil des EuGH vom 26.03.2020 (C-66/19) zum Thema „Widerruf von Verbraucherkrediten“ einen juristischen Paukenschlag.

In einem vom LG Saarbrücken initiierten Vorlageverfahren entschied der EuGH, dass die vom deutschen Gesetzgeber vorgegebene Ausgestaltung einer verbraucherkreditrechtlichen Widerrufsinformation (Muster gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB) nicht mit den europarechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2008/48/EG zu vereinbaren sei. Diese Entscheidung gewinnt ihre juristische Brisanz daraus, dass der BGH in ständiger Rechtsprechung die Wirksamkeit der vom EuGH beanstandeten Formulierungen festgestellt hat und noch in seinem Beschluss vom 02.04.2019 (XI ZR 488/17) eine Aussetzung des dortigen Rechtsstreits im Hinblick auf das laufende Vorabentscheidungsverfahren abgelehnt hat. Es sei „offenkundig und ohne dass für vernünftige Zweifel Raum bliebe, dass in der Widerrufsinformation bei der Umschreibung der Bedingungen für das anlaufende Widerrufsfrist nicht sämtliche Informationen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/48/EG aufgelistet sein“ müssten.

Dem hat der EuGH nun widersprochen.

Wie die dadurch geschaffene Rechtsunsicherheit beseitigt werden kann, ist noch offen. Für betroffene Kreditinstitute bleiben in jedem Fall Verteidigungsmöglichkeiten:

Denn für Immobiliendarlehensverträge gilt die vom EuGH herangezogene Richtlinie nicht. Allerdings hat dies den EuGH nicht daran gehindert hat, gleichwohl zu entscheiden. Deshalb steht zu befürchten, dass es in der nationalen Rechtsprechung Tendenzen geben wird, gestützt auf die Argumentation des EuGH erteilte Widerrufsinformationen auch für den Bereich Immobiliendarlehen als unwirksam anzusehen.

Allgemein wird man einwenden können, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des deutschen Rechts im Sinne einer Unwirksamkeit der Widerrufsinformation nicht möglich ist. Die vom EuGH beanstandeten Formulierung hat Gesetzeskraft. Ihre Ordnungsgemäßheit wurde vom BGH in ständiger Rechtsprechung bestätigt. Erst unlängst hat der BGH die Möglichkeit richtlinienkonformer Auslegung in seinem Urteil vom 15.10.2019 (XI ZR 759/17) verneint, so dass dieses Verfahren, in dem das beteiligte Kreditinstitut von Caemmerer Lenz vertreten wird, derzeit vor dem OLG Celle weitergeführt wird. Daher spricht vieles dafür, dass sich betroffene Kreditinstitute darauf berufen können, dass eine richtlinienkonforme Auslegung deutschen Rechts nicht möglich ist.

Karlsruhe, den 27.03.2020

Dr. Michael Artner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

 

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