Caemmerer Lenz befürwortet Initiative des zentUma e.V. zum geltenden Erbschaftsteuerrecht

Mit der freundlichen Gestattung der beiden Autoren Mark Pawlytta und Klaus-Dieter Wülfrath, die zugleich Mitglieder des Vorstandes des zentUma e.V. sind, geben wir hier deren Thesenpapier im Volltext wieder, das Ende September 2020 entstanden ist. Die Sozietät Caemmerer Lenz möchte durch diese Veröffentlichung die Initiative und die aufgezeigten Lösungsansätze unterstützen. Der Text lautet:

 

Erbschaftsteuerliche Gefahren der Corona-Krise für den Mittelstand

und Fami­lienunternehmen

1. Einführung

Deutschland muss aufgrund der Corona-Krise mit der schwersten Rezession seit dem 2. Weltkrieg rechnen. Ungeachtet zahlreicher Unterstützungsmaßnahmen, die die Bundesregierung durchge­führt hat und noch beabsichtigt, findet bislang in der öffentlichen Diskussion kaum Beachtung, dass insbesondere Rahmenbedingungen der Erbschaftsteuer einer für die Unternehmen erfolgreichen Bekämpfung der Corona-Krise zuwiderlaufen. Seit 2009 bestehen gesetzliche Regelungen mit dem Ziel, Betriebsvermögen im Erbgang unter engen Voraussetzungen von erbschaftsteuerlicher Belas­tung freizustellen oder zumindest teilweise zu entlasten. Diese Regelungen erweisen sich jetzt in der Corona-Krise als nachteilig. Ohne eigenes Verschulden können Betriebe die Zahl der Mitarbei­ter nicht stabil halten, sondern müssen Entlassungen vornehmen. Das kann zum Unterschreiten der Lohnsummengrenzen führen. Die Zufuhr liquider Mittel, um das Unternehmen vor einer dro­henden Zahlungsunfähigkeit zu schützen, kann ebenfalls gravierende nachteilige Folgen zeigen.

zentUma benennt nachfolgend einige überraschende Konsequenzen der Corona-Krise (unter Ziffer 2) und zeigt kurzfristige Lösungsmöglichkeiten auf (unter Ziffer 3), wie durch vorübergehende Son­derregelungen eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung der Unternehmen vermieden werden kann.

 

2. Benennung der erbschaftsteuerlichen Belastungen für Familienunternehmen durch Corona und die Rettungsmaßnahmen (Auswahl)

a)             Junges Verwaltungsvermögen und junge Finanzmittel

Verwaltungsvermögen, das dem Betrieb im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen war (junges Verwaltungsvermögen), wird grundsätzlich immer be­steuert. Der vom Gesetzgeber eingeräumte Kulanzpuffer in Höhe von 10% des begünstigten Betriebsvermögens gilt nicht für junges Verwaltungsvermögen. Dasselbe gilt für junge Fi­nanzmittel, die in den letzten zwei Jahren vor der Entstehung der Steuer in das Unternehmen eingelegt wurden. Auf diese fällt auch Erbschaftsteuer an, selbst wenn sie unter der vom Ge­setzgeber vorgesehenen Schwelle liegen, bis zu der Finanzmittel als betriebsnotwendig be­trachtet und erbschaftsteuerfrei bleiben sollen.

Unternehmer, die in der Corona-Krise z. B. auf Bankdarlehen verzichten und stattdessen Pri­vatvermögen in das Unternehmen investieren, um das Unternehmen und Arbeitsplätze zu er­halten, riskieren jedoch, dass dieses Vermögen als (junges) Verwaltungsvermögen qualifiziert und im Erbfall besteuert wird. Damit wird die Entlastungswirkung (Einbringung von Privatver­mögen zur Stärkung des Unternehmens) für das Unternehmen im Umfang der Besteuerung geschmälert.

 

b)        Einhaltung der Mindestlohnsumme

Um die Möglichkeit einer erbschaftsteuerlichen Verschonung zu erhalten, muss ein im Wege der Erbschaft oder durch Schenkung erhaltenes Unternehmen mit mehr als 15 Arbeitnehmern über einen Zeitraum von 5 Jahren mindestens 400% der Ausgangslohnsumme aufweisen. Im Falle der sog. Optionsverschonung von 100% erhöht sich dies auf 700% der Ausgangslohnsumme über einen Zeitraum von 7 Jahren. Für Unternehmen mit mehr als 5 und bis zu 15 Ar­beitnehmern gelten jeweils gestaffelte reduzierte Mindestlohnsummen; bei nicht mehr als 5 Arbeitnehmern entfällt die Voraussetzung der Mindestlohnsumme.

 

Die Ausgangslohnsumme ist dabei die durchschnittliche Lohnsumme der letzten 5 Wirt­schaftsjahre vor der Schenkung oder Erbschaft. Führt man sich dabei vor Augen, dass die letzten Jahre einen starken Wirtschaftsaufschwung mit hoher Beschäftigtenzahl und steigen­den Löhnen aufwiesen, zeigt sich das Risiko, welches in der aktuellen Krisensituation steckt. Lohnkürzungen für Mitarbeiter, selbst wenn sie durch Kurzarbeitergeld teilweise aufgefangen werden, und krisenbedingte Entlassungen erschweren vielen Familienunternehmen zukünftig die Einhaltung der für die erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen erforderlichen Lohnsummenvoraussetzungen. Werden die vorgenannten Grenzwerte nach 5 oder 7 Jahren unterschritten, kommt es im Umfang des Unterschreitens zu einer Nachsteuerfestsetzung, die zu einer zusätzlichen finanziellen Belastung der durch die Corona-Krise geschädigten Famili­enunternehmen wird.

 

c)         Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen, Insolvenz

Kommt es aufgrund der Corona-Krise zu einem Liquiditätsengpass, werden Familienunter­nehmen und Mittelständler versuchen müssen, z. B. bestimmte Maschinen, die für die aktuelle Produktlinie nicht zwingend erforderlich sind, auf Vorrat behaltene Betriebsgrundstücke oder Anteile an Tochtergesellschaften zu verkaufen, um Liquidität zu generieren. Findet dieser Ver­kauf allerdings innerhalb von 5 oder 7 Jahren seit einem Erwerb des Unternehmens im Wege des Erbfalls oder der Schenkung statt, kann dieser Verkauf zu einem teilweisen, aber erhebli­chen Wegfall der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen und zu einer Nachversteue-rung führen.

Drückt die insbesondere durch die Corona-Krise hervorgerufene Schuldenlast den Mittelständ­ler oder das Familienunternehmen so stark, dass es zu einer Insolvenz kommt und tritt diese Situation innerhalb von 5 oder 7 Jahren seit einem Erwerb des Unternehmens im Wege des Erbfalls oder der Schenkung ein, so führt auch diese Insolvenz zu einem rückwirkenden Weg­fall der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen und damit zu einer Nachversteuerung.

Die oben unter 2 a) bis c) aufgeführten Beispiele zeigen, dass diese Maßnahmen nicht aus Eigen­nutz oder aus anderen zu missbilligenden Motiven von Unternehmern gewählt werden, sondern dazu dienen, die Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen und die Existenz von Unternehmen und Arbeitsplätzen zu sichern. Auf dem Gebiet der Erbschaftsteuer können diese Maßnahmen je­doch zu negativen Belastungen oder gar zu dramatischen Folgen für Familienunternehmen und mittelständische Unternehmen führen. Dies widerspricht den Zielen und den bisherigen Konjunk­turprogrammen des Gesetzgebers zur Sicherung und Stärkung der Unternehmen.

Neben der Beschlussfassung über Konjunkturpakete und Maßnahmen zur Änderung des Umsatz­steuersatzes sind an den materiellen Vorschriften des Erbschaftsrechts dringend Korrekturen an­zubringen bzw. müssen Billigkeitswege eröffnet werden.

 

3. Lösungsvorschläge

Zur Vermeidung der vorstehend skizzierten sowie weiterer erbschaftsteuerlicher Nachteile, die auf­grund der Corona-Krise mittelständische und familiengeführte Unternehmen treffen, bieten sich zwei Lösungswege an.

 

a)         1. Lösungsweg - Billigkeit

Die Finanzverwaltungen der Länder könnten im Rahmen eines Erlasses gemäß § 163 Abs. 1 S. 1 und § 227 AO erbschaftsteuerliche Nachteile, die seit dem 1. März 2020 aufgrund der Co­rona-Pandemie unmittelbar oder aufgrund von Rettungsmaßnahmen mittelbar für Erwerbe nach dem 1. März 2020 eintreten, im Wege von Billigkeitsregelungen bekämpfen. Beispiele: Die (normalerweise) schädlichen Rückgänge der Lohnsummen seit dem 1. März 2020 könn­ten ausnahmsweise bei der Betrachtung der Lohnsummenvoraussetzungen unberücksichtigt bleiben. Krisenbedingte Umstrukturierungen nach dem 1. März 2020 könnten ebenso als nicht erbschaftsteuerschädlich für den Zeitraum der Corona-Pandemie behandelt werden. Dasselbe gilt für seit dem 1. März 2020 eingebrachtes Vermögen, das dem Schutz der Unternehmen dient und deshalb nicht als schädliches Verwaltungsvermögen qualifiziert werden sollte.

 

b)        2. Lösungsweg - Gesetzliche Übergangsregelunq entsprechend anderer Corona‑Ad hoc-Gesetzesmaßnahmen

Im Jahressteuergesetz 2020/2021 oder im Rahmen anderer steuergesetzlicher Regelungen könnte eine gesetzliche Sonderregelung für die Zeit der Corona-Pandemie geschaffen wer­den, mit der nach dem Vorbild anderer notgesetzlicher Maßnahmen die vorgenannten Gefah­ren für Unternehmen vermieden werden. Als Beispiele können das Gesetz zur Abmilderung der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht oder das jüngsten Konjunkturpaket vom 12.06.2020 genannt werden. Für einen festgelegten Zeitraum (z. B. VZ 2020 und 2021) könnten die vorgenannten Sonderregeln gesetzlich umgesetzt werden. Als mögliche gesetzliche Sonderregeln kommen z. B. folgende Maßnahmen in Betracht:

 

(1) Lohnsumme:

Um eine durch Corona verursachte Nachversteuerung zu verhindern, könnten für die Be­rechnung der Lohnsumme bestimmte Veranlagungszeiträume (z.B. VZ 2020 und 2021) nicht berücksichtigt werden, so dass etwa bei einer Schenkung am 1.1.2019 und einem unterstellten Abschwellen der Pandemie bis Ende 2021 nur die Jahre 2019, 2022 und 2023 berücksichtigt werden und die Lohnsumme verhältnismäßig nur 240% der Ausgangslohnsumme in diesen drei Jahren erreichen muss. Für Erbfälle und Schenkungen während der Corona-Pandemie, also z. B. ab März 2020 oder einfacher ab 1.1.2020, könnte als Ausgangslohnsumme nicht die Lohnsumme zum Stichtag ermittelt werden, sondern die Lohnsumme im Zeitpunkt des Abschwellens der Corona-Pandemie als Ausgangslohnsumme herangezogen werden. Da der 5-Jahres-Zeitraum vor dem Erbfall oder der Schenkung zur Ermittlung der Ausgangslohnsumme in vielen Fällen der coronabedingten wirtschaftlichen Lage nicht gerecht wird, sollte auch dieser 5-Jahres-Zeitraum zum Schutz der Unternehmen entweder verkürzt oder ganz (vorübergehend) gestrichen werden.

Alternativ könnte auch auf die gesamte Lohnsummenvoraussetzung für die Zeit der Co­rona-Pandemie verzichtet werden, da letztlich durch Corona verursachte Lohnsummen-veränderungen kein Ausdruck einer missbräuchlichen, gemeinwohlschädlichen Inan­spruchnahme erbschaftsteuerlicher Verschonungen sind. Unternehmen sollten von Steu­erbelastungen, die offensichtlich keinem Missbrauch geschuldet sind, verschont bleiben.

 

(2) Insolvenz:

Bei coronabedingten Insolvenzen könnte als Ausnahme von der Auffassung der Finanz­verwaltung, wonach Insolvenzen eine gemeinwohlschädliche und somit erbschaftsteuer-schädliche Betriebsaufgabe seien, gesetzlich festgelegt werden, dass diese Insolvenzen keinen Nachsteuertatbestand nach § 13a Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 4 ErbStG darstellen.

 

(3) Veräußerung von Betriebsvermögen:

Ebenfalls könnte für die durch Corona verursachte Veräußerung von Vermögensgegens­tänden des Unternehmens angeordnet werden, dass diese Veräußerungen ausnahms­weise keinen Nachsteuertatbestand nach § 13a Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 4 ErbStG darstel­len.

 

(4) Junge Finanzmittel:

Wenn Unternehmer junge Finanzmittel und junges Verwaltungsvermögen aus ihrem Pri­vatvermögen in die Unternehmen einbringen, um unter Verzicht auf die Inanspruchnahme von Krediten oder gar anderer staatlicher Hilfsleistungen z. B. coronabedingte Liquidi­tätsengpässe zu vermeiden, könnten diese Finanzmittel und dieses junge Verwaltungs­vermögen ausnahmsweise unmittelbar wie begünstigungsfähiges Vermögen behandelt werden.

 

(5) 90%-Test:

Bezüglich der Quotenregelung in § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG (90%-Test) könnte für den Zeitraum der Corona-Pandemie als Vergleichsmaßstab ein Wert vor Beginn der Pande­mie, z.B. der Stichtagswert zum 31.12.2019, festgelegt werden. Um hier aber keine un­gerechten Ergebnisse zu erzielen und Unternehmen nicht noch stärker zu belasten als es ohnehin schon in der Corona-Zeit der Fall ist, sollte auf diesen 90%-Test gänzlich ver­zichtet werden.

 

a) Wirkung der Lösungsvorschläge

Mit beiden Lösungswegen (Billigkeitsregelungen einerseits und gesetzgeberische Eingrif­fe andererseits) kann vermieden werden, dass mittelständische und familiengeführte Un­ternehmen durch die Erbschaftsteuer nicht noch stärker belastet werden als es ohnehin schon durch die Corona-Pandemie geschieht. Ein Missbrauch steuerlicher Gestaltungs­möglichkeiten in den vorgenannten Fällen ist ausgeschlossen, da diese Maßnahmen of­fensichtlich zur Existenzsicherung der Unternehmen und somit auch zur Stärkung der deutschen Volkswirtschaft erfolgen. Die beispielhaft empfohlenen Maßnahmen wären vom Gesetzeszweck des Erbschaftsteuergesetzes gedeckt. Aufgrund eines nur vorüber­gehenden Zeitraums der vorgeschlagenen Lösungen wäre eine Entlastungsregelung ver­gleichbar mit anderen Corona-Sofort-Hilfen angemessen und verhältnismäßig.

 

Mannheim, 22.09.2020

gez. Prof. Dr. Carsten Schäfer, Vorsitzender des Vorstands

 

zentUma e.V. ist das im Jahr 2003 an der Universität Mannheim gegründete Zentrum für Unternehmensnachfolge, eine in dieser Form in Deutschland einmalige Kooperation zwischen dem Institut für Unternehmensrecht der Universität Mannheim (IURUM) und Anwälten führender wirtschaftsberatender Sozietäten. Mit Prof. Dr. Carsten Schäfer als Vorstandvorsitzendem führt zentUma Erkenntnisse und Methoden der einzelnen Fachgebiete zusammen und fördert die wissenschaftliche Forschung wie auch die Aus- und die Weiterbildung auf dem komplexen Gebiet der Unternehmensnachfolge. Näheres unter: www.zentuma.de

 

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